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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
SPIEGEL: Frau Mühe, Sie gelten schon lange als große deutsche Nachwuchshoffnung, sind bereits mit Preisen überschüttet worden. In Ihrem neuen Film »Novemberkind« haben Sie noch einmal einen enormen Sprung gemacht. Woran liegt das?
Mühe: Bei dem Film stimmte einfach alles. Das Team hat perfekt funktioniert, noch heute, eineinhalb Jahre nach dem Ende des Drehs, sind viele von uns eng miteinander befreundet. Und lange bevor wir mit dem Drehen begonnen hatten, habe ich mich oft mit dem Regisseur getroffen. Er wusste viel von mir persönlich, das hat dann sehr geholfen. Außerdem hatte ich ja auch eine große Verantwortung. Es haben drei Leute mit dem Film ihr Diplom gemacht: der Kameramann, der Regisseur und der Produzent.
SPIEGEL: Es geht um eine junge ostdeutsche Frau, die immer dachte, ihre Mutter sei tot, und nach und nach erfährt, dass ihre Mutter 1980 aus der DDR geflohen war und sie dabei zurückgelassen hatte. Der Regisseur hat den Film auf Sie zugeschnitten, wollte unbedingt, dass Sie beide Parts übernehmen, den der Tochter und - in Rückblenden - den der Mutter. War es Ihnen unheimlich, dass sich ein Regisseur so auf Sie fixierte?
Mühe: Natürlich war es absurd für mich. Das passiert doch sonst nur viel gestandeneren Schauspielern, dass ein Film quasi
für sie gemacht wird. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt.
SPIEGEL: In dem Film geht es um die schmerzhaften Nachwirkungen der DDR-Geschichte. Es gibt auch die Figur eines Romanautors, der die Lebensgeschichte der beiden Heldinnen heimlich ausspioniert. Ihre Eltern - die in Ost und West populären Schauspieler Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe - hatten sich öffentlich über die Frage zerstritten, ob Ihre Mutter als IM für die Stasi gearbeitet hatte. Sie drehten »Novemberkind«, kurz davor starb die Mutter, kurz danach der Vater. Kam der Film Ihnen nicht zu nahe?
Mühe: Ich habe das Drehbuch damals überhaupt nicht so gelesen, als hätte es etwas mit meiner Geschichte zu tun. Ich habe es als ganz normale Schauspielerin gelesen, die einfach fand, dass es ein guter Stoff ist. Durch meine Eltern wird die DDR sehr oft mit mir in Verbindung gebracht, ich selber habe aber gar keine Erinnerungen, war erst vier Jahre alt, als die Mauer fiel, und bin dann im tiefsten Westen aufgewachsen. Da wird also etwas mit mir assoziiert, was zu meinem Selbstbild gar nicht gehört.
SPIEGEL: Einige Eindrücke müssten doch aus den ersten Lebensjahren da sein?
Mühe: Es gibt Erinnerungen an die Wohnung, in der wir lebten, wie da der Teddy vom Balkon flog und Papa ihn holte. Von der Welt draußen ist nichts zurückgeblieben.
SPIEGEL: Sie drehen gelegentlich mit Kollegen, die zu DDR-Zeiten bereits mit Ihren Eltern gespielt haben - zum Beispiel mit Hermann Beyer, der in »Novemberkind« Ihren wunderbar knorzigen Großvater gibt. Erzählen die Ihnen von früher?
Mühe: Natürlich. Hermann Beyer schwärmte sehr von meiner Mutter, von Ihren X-Beinen, dass sie ein heißer Feger war und von ihren schauspielerischen Fähigkeiten. So oft habe ich Hermann nach dem Drehen aber gar nicht gesehen, da er im Hotel wohnte und ich mit einem Großteil des Teams in der Jugendherberge.
SPIEGEL: Die Hauptdarstellerin in der Jugendherberge?
Mühe: Ja, allerdings im Lehrerzimmer, also dort, wo man als Schülerin immer hinwollte. Zuerst hatte ich eine Wohnung, aber nach der ersten Nacht wollte ich zum Team. Ich brauche immer die Nähe der Gruppe, auch abends nach dem Drehen. Wenn ein Team auseinandergeht, bricht es mir das Herz.
SPIEGEL: Sie sind mit vielen Schauspielern eng befreundet - Wahlverwandtschaften?
Mühe: Ja, schon, meine Freunde sind meine Familie. Ich habe überhaupt nur noch zwei Schulfreunde, alle anderen habe ich durch den Beruf kennengelernt. Wir sind immer viel umgezogen, da konnte ich nicht so viel aufbauen.
SPIEGEL: Seit dem Zerwürfnis Ihrer Eltern werden Sie dauernd auf die DDR angesprochen - und natürlich auch auf das Schicksal Ihrer Eltern.
Mühe: Ja, natürlich ist das schwierig, das sage ich Journalisten auch immer wieder. Dennoch versuchen viele Journalisten, etwas aus mir herauszubekommen, aber ich muss da um Verständnis bitten, es geht einfach nicht.
SPIEGEL: Über die Eltern zu sprechen heißt doch auch, sie weiterleben zu lassen?
Mühe: Den meisten Journalisten geht es doch vor allem um den Stasi-Streit. Es wird nie wieder etwas über meine Eltern geschrieben werden ohne diesen Hinweis. Und ich will da einfach nicht Stellung beziehen, will keine Schiedsrichterin sein.
SPIEGEL: Es ist aber fast nicht möglich, über »Novemberkind« zu sprechen und nicht über Ihre Eltern. Es geht im Film immerhin um einen ungeklärten Fall aus DDR-Zeiten, der plötzlich öffentlich gemacht werden soll.
Mühe: Wie gesagt: Ich selber sehe die Parallelen gar nicht so sehr.
SPIEGEL: Dass der Stasi-Konflikt öffentlich ausgetragen wurde, daran sind Ihre Eltern nicht unschuldig. Die beiden haben ja gar nicht mehr miteinander geredet, sondern quasi nur noch über die Öffentlichkeit.
Mühe: Ich habe mir fest vorgenommen, mit der Presse anders umzugehen. Übrigens hatte meine Mutter mir früh beigebracht, wie ich es richtig machen kann, nämlich dass das, was die Presse über einen schreibt, in ein Ohr rein- und aus dem anderen rausgehen soll. Natürlich geht es nicht spurlos an einem vorbei, aber im Kern war ich bisher nie wirklich getroffen.
SPIEGEL: Vor kurzem lief ein Dokumentarfilm über Ihre Mutter, »Ich will da sein«. In diesem Film wird Ihre Mutter in den letzten Monaten ihres Lebens begleitet, und da stellt sie einen Zusammenhang her zwischen den Vorwürfen gegen sie und der Verschlimmerung ihrer Krebserkrankung. Glauben auch Sie daran?
Mühe: Krebs ist ja nicht irgendeine Krankheit. Ich glaube schon, dass zwar nicht unbedingt die Ursache der Krankheit, aber der Verlauf viel mit dem psychischen Haushalt des Kranken zu tun hat. Natürlich ist es furchtbar, wenn in der Presse über einen steht, dass man IM gewesen sein soll.
SPIEGEL: Eigentlich ist es die Aufgabe von Eltern, ihre Kinder zu schützen. In Ihrem Fall aber waren es die Eltern, die irgendwann schutzbedürftig wurden.
Mühe: Ich habe mir oft auferlegt, meine Eltern vor der Außenwelt zu schützen, aber das hätte ich überhaupt nicht schaffen können. Ich kann nur eines machen: anders mit der Presse umgehen.
SPIEGEL: Können Sie dennoch das Interesse der Öffentlichkeit am Drama Ihrer Eltern verstehen?
Mühe: Schon. Sie waren ja beide prominent und dann noch ein Ex-Ehepaar. Aber mich hat nicht so sehr das Interesse der Öffentlichkeit gestört, es waren bestimmte Leute, die sich hingestellt haben und meinten, irgendwelche Stellungnahmen über meine Eltern abgeben zu müssen, und dadurch die Sache verschlimmerten. In so einem Fall habe ich dann oft gedacht: Habt Ihr kein eigenes Leben?
SPIEGEL: Haben Ihre Eltern Ihnen von der DDR erzählt?
Mühe: Nein. Und ich war zu jung, um nachzufragen, das finde ich heute sehr schade.
SPIEGEL: Ihre Eltern hatten sich nach dem Fall der Mauer getrennt - ein Land kam zusammen, Ihre Familie ging auseinander. Empfinden Sie das heute als paradox?
Mühe: Das war ja in ganz vielen Familien so, dass gerade da viel kaputtging.
SPIEGEL: Sie können in Filmen, wenn die Rolle es erfordert, sehr reif wirken. Sind Sie durch die tiefgreifenden Erfahrungen tatsächlich reifer als Ihre Altersgenossen?
Mühe: Ich weiß nicht, ob ich als Privatperson wirklich reif wirke. Ich bin ja klein, 1,60 Meter, und manchmal wenn ich abends ausgehe, muss ich meinen Ausweis zeigen, weil mich die Türsteher für jünger halten. Durch die Umzüge bin ich zumindest sehr offen geworden. Ich war darauf angewiesen, auf neue Leute zugehen zu müssen.
SPIEGEL: Sie zogen mit Ihrem Vater von Ost-Berlin nach Wien, dann nach Hamburg, nach Berlin, wieder nach Wien, und schließlich gingen Sie zu Ihrer Mutter nach Berlin zurück. Haben Sie Ihren Eltern manchmal übelgenommen, dass Sie nie ein festes Zuhaus hatten?
Mühe: Ich hatte zwar kein festes, aber ein liebevolles Zuhause. Die Umzüge waren nicht immer leicht. Am schlimmsten war es, als wir aus Hamburg wegzogen, da war ich 14 Jahre alt, das erste Mal verliebt, hatte das erste Mal einen festen Freundeskreis. Und nachdem wir dann in Berlin gelandet waren, hieß es, wir müssten für ein Dreivierteljahr wieder nach Wien. Irgendwann war es mir natürlich zu viel. Aber Papa war es wichtig, die Familie dabeizuhaben. Und im Nachhinein bin ich froh, dass wir so viel Zeit miteinander verbracht haben.
SPIEGEL: Trotzdem legen Sie Wert darauf, Ihre Karriere als Schauspielerin ohne Hilfe Ihrer Eltern zustande gebracht zu haben.
Mühe: Ich möchte einfach nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht. Beim Namen Mühe denkt man an die DDR, bei Schauspielern an ein Boheme-Leben. Es werden einem Etiketten angehängt. Ich hatte zwar Schauspielereltern, war aber selten beim Drehen dabei oder am Theater, ich musste früh ins Bett. Mit dem Burgtheater, wo mein Vater engagiert war, verbinde ich keine Premierenpartys, sondern meinen Klavierunterricht, der dort stattfand. Meine Eltern haben mich vor den Unwägbarkeiten des Schauspielerberufs gewarnt.
SPIEGEL: Sie haben von Ihrem Vater die seltene Gabe, mit Blicken ganze Geschichten zu erzählen. Das sieht man in dem Film »Schwesterherz«, den Sie im vergangenen Jahr zusammen mit Heike Makatsch gedreht haben. Die Makatsch muss reden und reden, Sie aber gucken und haben den stärkeren Part.
Mühe: Manchmal passt es ja auch, wenn man viel redet. Mir gefällt es besonders, wenn man nicht so festgelegt wird durch einen Text, sondern während des Drehs noch sehen kann, was mit den Szenen passiert.
SPIEGEL: Sie können mit wenigen Mitteln starke Emotionen ausdrücken und auch auslösen. Die Szene in »Novemberkind«, in der Sie als Mutter beschließen, Ihren Säugling wegzugeben, spielen sie schlicht und herzergreifend. Schauen Sie sich nach dem Drehen auf dem Monitor an?
Mühe: Vor dieser speziellen Szene hatte ich Angst, ob ich das überhaupt könnte, Muttergefühle zu spielen. Aber auch eine solche Szene würde ich mir nicht am Monitor anschauen. Ich habe Angst, dann zu viel verändern zu wollen.
SPIEGEL: Nachdem der große Erfolg Ihres Vaters »Das Leben der Anderen« 2007 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, hatte er Angebote aus Hollywood. Die meisten deutschen Schauspieler scheitern dort. Wie hätten Sie seine Chancen eingeschätzt?
Mühe: Er hätte es geschafft.
SPIEGEL: Heute wird Ihr Vater immer wieder postum geehrt. Manchmal nehmen Sie die Preise entgegen. Wie empfinden Sie diese Veranstaltungen?
Mühe: Die Leute im Publikum haben oft Mitleid, was ich anstrengend finde. Gleichzeitig sind sie auch total neugierig auf das, was ich sage - es ist schon komisch.
SPIEGEL: Die Hauptfigur in »Novemberkind« geht durch viele Höllen, bricht aber gestärkt in ein neues Leben auf. Können auch Sie aus allem Schrecklichen etwas Positives ziehen?
Mühe: Eigentlich bin ich ein positiver Mensch und versuche, in allen Dingen das Gute zu sehen, also das, was einem hilft. Aber es gibt eben Situationen, bei denen es absolut nicht mehr geht. Vielleicht irgendwann, aber jetzt noch nicht. Aber es ist toll, dass ich meine ganzen Geschwister um mich herum habe und fleißig Tante spielen darf. Mit zwei Brüdern und einer Schwester aus anderen Verbindungen meiner Eltern bin ich ja nie aufgewachsen, wir haben erst seit drei, vier Jahren ein enges Verhältnis. Da hat sich wirklich etwas entwickelt, und das ist wunderschön.
SPIEGEL: Frau Mühe, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Lars-Olav Beier und Susanne Beyer.